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Teo Gheorghiu

ROOTS RELEASE (CD-Taufe)

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Konzert — Abo B

Samstag, 10.12.22 — 20:00

Lau­da­tio: Fre­di Mur­er anschl. Konz­ert

DIE GESCHICHTE
Nach­dem ich jahre­lang im Heute und Mor­gen gelebt hat­te, war der Ver­lust meines Vaters im Jahr2018 ein heftiger Knall, der gle­ichzeit­ig einen neuen Hor­i­zont eröffnete: die Ver­gan­gen­heit. Woher komme ich? Während des kom­mu­nis­tis­chen Regimes unter Ceaus­es­cu in den 1980er-Jahren liessen meine rumänis­chen Eltern alles hin­ter sich, um im Aus­land ein neues Leben zu begin­nen. In der Schweiz geboren und in Lon­don aufgewach­sen, war ich einzig über die Musik mit Rumänien verbunden–Dinu Lipat­ti, Radu Lupu, Maria Tănase, Tara­ful Haiducilor und viele andere bracht­en meine Gefüh­le zumVib­ri­eren. Inzwis­chen schreibe ich diese Zeilen in Sân­do­minic, wo mein Gross­vater aufgewach­sen ist. Dieses Dorf liegt im Herzen von Harghi­ta, ein­er Region in Rumänien, in der eine stolze ungarische Gemein­schaft lebt, die sich Szeke­ly nen­nt. Die san­ften Hügel erin­nern an Schweiz­er Land­schaften, und der Som­mer ist ein Paradies voller Far­ben, Gerüche, Licht und Fülle. Nach­dem mein Vater viele Jahrzehnte in Kana­da und in der Schweiz ver­bracht hat­te, zog es ihn zurück zu den Som­mern sein­er Kind­heit, und er ver­brachte immer mehr Zeit in Sân­do­minic, wo er von seinen ent­fer­n­ten Ver­wandten wie ein enger Fre­und emp­fan­gen wurde. Seit er dort im Spät­som­mer 2018 neben sein­er Gross­mut­ter seine let­zte Ruh­estätte fand, ver­spürte ich den tiefen Drang, ihn zu besuchen und die Verbindung zu unseren Wurzeln weit­erzuführen. Dies ver­an­lasste mich, in Rich­tung Osten aufzubrechen und mit meinem Ren­nrad Deutsch­land, Öster­re­ich, Ungarn und einen Grossteil Rumäniens zu durch­queren. Ähn­lich wie mein Vater gebe ich Gas sobald ich auf dem Weg bin, und nach zwölf inten­siv­en Tagen war meine Pil­ger­reise zu Ende–um mich einen neuen Anfang, ein neues Ver­ständ­nis und ein neues Zuge­hörigkeits­ge­fühl find­en zulassen, wobei die Ver­gan­gen­heit in die Gegen­wart fliesst. Die Reise zu meinen Wurzeln war zugle­ich läuternd und heil­sam, und dieses Album ist von dieser Inspi­ra­tion beseelt. Zige­unerklei­der wirbeln in heller Erre­gung durch die Adern fließend, Gottes Trä­nen auf sein­er Spur.
DIE MUSIK
«Der Auf­takt zu diesem Album reflek­tiert meinen Zugang zu Rumänien und sein­er musikalis­chen Land­schaft. Als Teenag­er erlebte ich zum ersten Mal George Enes­cus «Rumänis­che Rhap­sodie No. 1»,und zwar beim Enes­cu-Fes­ti­val in Bukarest: ein unvergesslich­er Wirbel­wind lebens­fro­her Melo­di­en, die in einem per­fek­ten Chaos arrang­iert waren und ein Kalei­doskop volk­stüm­lich­er Far­ben aus­lösten. Als ich Jahre später die Fas­sung für Soloklavier ent­deck­te, die der Kom­pon­ist selb­st geschrieben hatte,tauchte ich sofort ein und stellte fest, dass mir eine dritte Hand fehlte. Enes­cu hat­te fast alle Teileeines Sym­phonieorch­esters in die «reduzierte» Par­ti­tur gedrängt, und die Her­aus­forderung bestand­darin, sie so zu arrang­ieren, dass sie für Men­schen­hände auf der Tas­tatur spiel­bar wur­den.»
Die «Rumänis­che Rhap­sodie No. 1» (1901) basiert auf sechs folk­loris­tis­chen Tanzmelo­di­en, mit denen George Enes­cu (1881–1955) aufgewach­sen ist. Als der drei­jährige Enes­cu im Dorf Volk­slieder hörte, sollte das ein prä­gen­des Erleb­nis bleiben für sein ganzes Leben: Er wurde ein­er der größten Geiger aller Zeit­en. Aber ohne Zweifel zog er es vor, zu kom­ponieren, «denn es ist das Unendliche, das immer Neue, die Zukun­ft, die Erwartung unbekan­nter Empfind­un­gen und schliesslich das Gefühl, das Unfass­bare einge­fan­gen zu haben». Im Alter von neun­zehn Jahren vol­len­dete Enes­cu die Kom­po­si­tion eines sein­er berühmtesten Werke.
“Auch in der Freude gibt es Trau­rigkeit. Diese Empfind­ung ist bee­in­flusst von unseren Tälern und Hügeln, von der beson­deren Farbe unseres Him­mels, von den Gedanken, die uns bedrück­en und gle­ichzeit­ig eine Sehn­sucht her­vor­rufen, die wir nicht richtig ver­ste­hen kön­nen. Die Sehn­sucht scheint mir­das einzige eigen­ständi­ge Merk­mal der rumänis­chen Lieder in ein­er Musik zu sein, die reich ist an rus­sis­chen und ungarischen Motiv­en.„
-George Enes­cu
Bela Bartók (1881–1945) teilt mit Enes­cu den gle­ichen Geburt­s­jahrgang. Sein ungarisch­er Geburt­sort Nagyszent­mik­lós wurde später Teil Rumäniens und in Sân­ni­co­lau Mare umbe­nan­nt. Bartók wurde Pianist, ein­flussre­ich­er Kom­pon­ist und der erste Musiketh­nologe über­haupt, wobei er sich vor allem von seinen Erkun­dun­gen der Volksmusik inspiri­eren liess. Dazu gehörten die ungarische Volksmusik, aber auch andere eth­nis­che Rhyth­men, die er auf seinen Reisen durch seine Heimat Sieben­bür­gen und darüber hin­aus ent­deck­te. Bartók begann, sich von den Regeln und Kon­ven­tio­nen der west­lichen klas­sis­chen Musik zu lösen, und fol­gte stattdessen direk­ten Offen­barun­gen der Natur.
“Mein Hauptgedanke, der mich ganz und gar beherrscht, ist die Brüder­lichkeit der Men­schen, die über allen Kon­flik­ten ste­ht, und deshalb bin ich offen für den Ein­fluss jeglich­er frischen und gesun­den­Quellen vonaussen, seien es rumänis­che oder andere.„
-Bela Bartók
Das «Alle­gro Bar­baro» (1911) ist typ­isch für Bartóks Stil und verbindet ungarische und rumänis­che Tonal­itäten. Es wurde ange­blich als Reak­tion auf den Spott eines Paris­er Kri­tik­ers über das «bar­barische» Schaf­fen ungarisch­er Kün­stler geschrieben und bewegt sich an der Gren­ze zwis­chen Frei­heit und wilder Kraft. Für seine «Rumänis­chen Volk­stänze» (1917) ver­wen­dete Bartók sechs Orig­i­nalmelo­di­en, die er in ver­schiede­nen Regio­nen Sieben­bür­gens gesam­melt hat­te. Ursprünglich auf Geige oder Hirten­flöte gespielt, repräsen­tiert jede Melodie eine andere Tanz­form, die Szenen von fröh­lichen Bauern­tänzen und erdi­gen Fes­ten bis hin zu Gefühlen von Schw­erelosigkeit und Sehn­sucht her­auf­beschwört. Die treiben­den Rhyth­men des «Rumänis­chen Tanzes Nr. 1» (1910) gehen auf den Beginn von Bartóks Inter­esse an der Volksmusik zurück, nach­dem er im Som­mer 1909 seine erste Reise unter­nom­men hat­te, um rumänis­che Melo­di­en zu sam­meln.
«Als Kind begleit­ete ich meinen Vater öfters in die Ton­halle Zürich zu ver­schiede­nen Konz­erten. Deshalb war es immer ein großar­tiges Gefühl, ihn im Pub­likum zu spüren, als ich selb­st anf­ing, dort Konz­erte zu geben. Bei der let­zten solchen Gele­gen­heit been­dete ich das Rez­i­tal mit Mod­est Mus­sorgskys «Bildern ein­er Ausstel­lung». Kein anderes Werk hat meine bish­erige musikalis­che Reise so geprägt wie dieses einzi­gar­tige und unkon­ven­tionelle Uni­ver­sum. Es erwies sich als die per­fek­te Plat­tform für eine dauer­hafte Erkun­dung neuer Per­spek­tiv­en, für Aufrichtigkeit und vor allem dafür, keine Angst vor extremen Aus­drucks­for­men zu haben.»
Die «Bilder ein­er Ausstel­lung» (1874) sind Mod­est Mus­sorgskys (1839–1881) wichtig­ster Beitrag zur Klavier­lit­er­atur; bemerkenswert, war doch das Werk zu seinen Lebzeit­en nie öffentlich aufge­führt wor­den. Bis zu dessen Entste­hung sah sich der Kom­pon­ist als Welt­bürg­er, «aber jet­zt habe ich eine Art Wiederge­burt erlebt und mich allem Rus­sis­chen genähert». Durch­drun­gen von slaw­is­chen Volk­sliedern, litur­gis­ch­er Musik und Volksmärchen, wird die Kul­tur von Mus­sorgskys Land­sleuten in Klän­gen des All­t­ags, des Todes, der Kinder, der Tiere und der Mon­u­mente gemalt. Es verbleibt ein direk­ter Dia­log, voll­ständig befre­it von tra­di­tionellen Regeln und Kon­ven­tio­nen.
“ Nie­mand hat jemals das Beste in uns in einem tief­er­en und zarteren Aus­druck ange­sprochen. Mus­sorgsky ist einzi­gar­tig und wird es bleiben, denn seine Kun­st ist frei von Kun­st­grif­f­en und trock­e­nen Formeln. Niemals wurde eine raf­finierte Sen­si­bil­ität mit so ein­fachen Mit­teln aus­ge­drückt. Sie ist wie die Kun­st eines wilden Wesens, das in jedem sein­er Gefüh­le Musik ent­deckt.„
-Claude Debussy
«Zum Ausklang des Albums springt «Gurdjieff-‘Enter the realm’»kopfüber in die Tiefen der Lebendig- und Endlichkeit. In Zusam­me­nar­beit mit meinem geschätzten Kol­le­gen und Fre­und Fabi­an­Russ haben wir uns musikalisch von den philosophis­chen Lehren George Gur­d­ji­effs inspiri­eren lassen, die danach streben, die östlichen Weisheit­en mit dem wis­senschaftlichen Denken des West­ens zu vere­inen.»
Ähn­lich wie sein Zeitgenosse Bela Bartók unter­nahm George Gur­d­ji­eff (1866–1949) aus­gedehnte Reisen, auf denen er Melo­di­en und rit­uelle Tänze sam­melte, die sein Fre­und und Schüler Thomas de Hart­mann auf­nahm und zu Klavier­stück­en ver­ar­beit­ete. Später im Leben grün­dete Gur­d­ji­eff ein Insti­tut für die har­monis­che Entwick­lung des Men­schen. Seine päd­a­gogis­che Arbeit bezog sich auf alle Bere­iche der men­schlichen Exis­tenz und umfasste kör­per­liche Arbeit, Lesun­gen und rit­uelle Tänze.
Teo Ghe­o­rghiu